Twitter kaufen, Demokratie erweitern
Zwei konkrete Vorschläge, wie wir Rechtspopulismus eindämmen können. Von Ute Scheub und Thomas Dönnebrink
Wird der Trumphalismus von 9/11 weite politische Landschaften in demagogische Brüllfelder verwandeln? Diese Gefahr droht bekanntlich nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, Europa und weltweit. Trumps Triumph beruhte unter anderem auf Meinungs-Robotern, mit denen Stimmungen erzeugt und manipuliert wurden. Sein Team hat im Wahlkampf massiv „Social Bots“ eingesetzt, die über Twitter & Co massenhaft Botschaften versandten und so eine viel größere Unterstützermasse vortäuschten als tatsächlich existiert. Ein riesiger Anteil der Wahldebatten auf Twitter wurde von Maschinen geführt, wie eine Kurzstudie des „Oxford University’s Project on Computational Propaganda“ herausfand (www.politicalbots.org). #TrumpWon wurde dadurch zum Selbstläufer, zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Werden Wahlkämpfe demnächst von selbsttätigen Computerarmeen ausgeführt? Eine beängstigende Vorstellung. Kanzlerin Merkel setzt im Wahljahr 2017 zwar auf einen freiwilligen Verzicht aller Parteien auf Social Bots, aber die AfD wird wohl nicht mitmachen.
Besser also, man bekämpft das Problem an der Wurzel. Take the toys from the boys, nehmt den Rechtspopulisten ihr liebstes Spielzeug zur Verbreitung von Hasspropaganda weg! Bereits im September schlug der US-Autor Nathan Schneider im britischen „Guardian“ vor, Twitter durch die User zu kaufen und in eine genossenschaftsähnliche Medienplattform umzuwandeln (die taz berichtete). Der Medienwissenschaftler an der Bolder University propagiert seit längerem den Aufbau eines gemeinwohlorientierten „Plattform-Kooperativismus“ als Alternative zum profitorientierten „Plattform-Kapitalismus“ der Internetkonzerne. Er war Mitorganisator einer internationalen Konferenz im November 2015 in New York, auf der ein breites Publikum das Thema begeistert aufnahm.
Die Idee fand international Anklang, unter anderem bei der deutschen Internetinitiative www.netzpolitik.org. Wenn man Twitter zu einer Mediengenossenschaft umwandelt, könnten sich User und Miteigentümerinnen auf ein Set moralischer Regeln einigen. Massenmanipulationen in Wahlkämpfen und das Verbreiten von Hasspropaganda könnte verboten oder zumindest eingeschränkt werden. Dass Medienkooperativen heute aus vielen Gründen zukunftsfähiger sind als profitorientierte Medien, das weiß niemand besser als die taz-Leserschaft.
Verschiedene Gruppen in den USA, Kanada, Deutschland und anderswo arbeiten derzeit an der Verbreiterung der Kampagne „WeAreTwitter“. Zwar wurde ihre gleichnamige Petition bisher nur von gut 3.000 Menschen unterzeichnet, aber das heißt nicht so viel. Die angesichts der Größe der Aufgabe komplexen Vorarbeiten laufen im Hintergrund, etwa auf den Kooperations-Plattformen loomio und slag channel. Einer von mehreren Vorschlägen zur Realisierung lautet folgendermaßen: Ein Prozent der User – ungefähr drei Millionen Leute – kaufen den Zwitscherdienst, verwandeln ihn in eine Kooperative und lassen sich durch eine geringe Nutzergebühr wieder ausbezahlen. So könnte Twitter am Ende allen gehören.
Zu den deutschen Vorarbeitern der Kampagne gehört der Münchner Internetspezialist Thomas Euler. Auch er verweist er darauf, dass man 12 bis 17 Milliarden Dollar für den Kauf der Aktiengesellschaft Twitter nicht per Crowdfunding aufbringen kann. Deshalb schlägt er vor, Anteile auf verschiedenen Wegen zu kaufen und Investoren zu begeistern, um auf der nächsten Aktionärsversammlung ein ausgearbeitetes Übernahmeangebot vorzulegen. Laut Euler gibt es bereits Kontakte zu Gründern und Investoren im Silicon Valley. Der junge IT-Berater zeigt sich überzeugt, dass der ständig rote Zahlen schreibende Internetdienst nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus technologischen Gründen von diesem neuen Geschäftsmodell profitieren könnte. Möglichst viel organisatorische und finanzielle Unterstützung aus Deutschland wäre großartig.
Unser zweiter Vorschlag dient ebenfalls dem Schutz und der Weiterentwicklung von Demokratie. In einer Hinsicht haben die „angry white men“, die Trump gewählt haben, ja recht: Das Band zwischen Regierenden und Regierten ist zerrissen, weil Konzerne und Lobbyisten hinter den Kulissen die Geschicke bestimmen. Das Gerechtigkeitsproblem Nr.1 von heute, dass sich Finanzindustrie und Superreiche auf Kosten der Allgemeinheit schamlos bereichern, ist spätestens seit der Bankenkrise von 2008 Allgemeinwissen, wird aber von den meisten Regierungsparteien einfach totgeschwiegen. Auch dieser zum Himmel schreiende Mangel an Veränderungswillen der politischen Elite macht Menschen anfällig für das rechtspopulistische Narrativ des „verratenen Volkes“.
In letzter Zeit sind mehrere kluge Bücher erschienen, die empfehlen, die Demokratie zu retten, indem man sie zur partizipativen und deliberativen Demokratie weiterentwickelt. Claus Leggewie und Patricia Nanz schlagen in ihrem Büchlein „Die Konsultative“ die Bildung von Bürger- oder Zukunftsräten vor, die ähnlich wie Laienrichter per Losverfahren und zusätzlich nach demografischen Kriterien wie Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungsgrad bestimmt werden. Diese divers zusammengesetzten Gremien können dann vollkommen frei von Lobbyinteressen über Probleme beraten und Lösungsvorschläge ausarbeiten – von der Dorfebene bis in die EU. Damit der Prozess nicht ins Leere läuft, muss den politisch Zuständigen im Vorfeld allerdings abgerungen werden, dass sie auf die Vorschläge verbindlich reagieren.
Ähnlich argumentiert der belgische Historiker David Van Reybrouck. In seinem brillanten Buch, das leider den irreführenden Titel „Gegen Wahlen“ trägt, zeigt er auf, dass Losverfahren das entscheidende Element vieler Demokratien waren und sind, angefangen vom antiken Griechenland. „Gegen Wahlen“ hat er nichts, aber „gegen Wahlfundamentalismus“, also die uns allen kopfwäschenmäßig beigebrachte Reduzierung der wunderbaren Idee von „Volksherrschaft“ auf das bloße Wählen alle paar Jahre.
In beiden Büchern wimmelt es von Erfolgsbeispielen für diese inklusiven Modelle, die sich besonders gut für die Aushandlung zentraler Zukunftsfragen eignen. Wer es nicht glaubt, möge sich die Arbeit von „Zukunftsräten“ im österreichischen Vorarlberg etwa zum Umgang mit Flüchtlingen ansehen. Oder die Empfehlungen für die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele lesen, die Bürgerräte für das Bundesumweltministerium formuliert haben. Oder den Entwurf für eine neue Verfassung in Island, der nach der Bankenkrise per „crowdthinking“ erarbeitet wurde. Man stelle sich nur mal vor, Klimaschutzpläne würden hier und weltweit nicht von Ministerien entworfen, sondern von lobbyfreien Zukunftsräten.
Es geht, man muss sich nur trauen. Jede Gemeinde, jede Straße, jede Stadt, jede Region kann einen Anfang machen. Im Wahljahr 2017 können wir zeigen, dass wir kollektiv zu wesentlich mehr fähig sind, als Zettel in der Urne zu versenken.
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